Wie die Trommel auf die Erde kam

Blauhäher und Kleiner Bär

(„ Die Stimme des Donnervogels“ Gabriel Verlag) SALISCH (KANADA, BRITISCH-KOLUMBIEN)

Vater Sonne schaute hinab auf die Erde und sah seine Kinder, die Menschen. “Ich gebe ihnen alles, was sie brauchen”, sagte Vater Sonne. “Ich lasse das Gras wachsen, die Blumen und die Bäume. Wie schön ist die Welt für meine Kinder! Trotzdem sind sie immer traurig. Sie sitzen still in ihren Hütten. Sie gehen schweigend auf die Jagd. Was fehlt ihnen?” Vater Sonne rief den weisen Vogel Blauhäher zu sich. “Warum sind meine Kinder, die Menschen, so still?”, fragte Vater Sonne. “Ich schenke ihnen so viel, aber nie lachen sie und nie sind sie fröhlich.” “Du hast ihnen viel gegeben, Vater Sonne”, antwortete Blauhäher:

“Sie hören die Stimmen des Donnervogels, sie hören die Stimmen des Windes, sie hören die Stimme des Wassers, sie hören die Vögel in den Büschen singen, sie hören das Lied der Wölfe, das Flüstern der Blätter im Wind, das Donnern der Büffelhufe, wenn eine große Herde über das Gras läuft.

All das hören sie und nehmen es auf in ihre Herzen. Aber, Vater Sonne, sie wissen es nicht. Die Stimmen ruhen in ihren Herzen und sind stumm. Deine Kinder, die Menschen, würden glücklich sein, wenn sie diesen Stimmen ihre eigene Stimme geben könnten, sodass sie aus ihren Herzen herauskönnen um zu tönen, zu klingen, zu singen.” “Du hast Recht, Blauhäher”, sagte Vater Sonne. “Geh zu den Menschen und gib ihnen, was ihnen fehlt.”

Blauhäher flog zu den Menschen, er flog von Dorf zu Dorf und es war so, wie Vater Sonne gesagt hatte: Wohin Blauhäher auch kam, überall saßen Menschen stumm in ihren Hütten oder gingen schweigend auf die Jagd. Die Vögel sangen, die Bäche wisperten, das Laub flüsterte im Wind, aber die Herzen der Menschen blieben verschlossen. Ich muss ihnen helfen, dachte Blauhäher. Aber wie?

Er flog weiter. In einem Dorf sah er einen jungen Mann, der war von der Jagd zurückgekehrt. Er hieß Kleiner Bär und war dabei, einen erlegten Büffel zu häuten. Blauhäher ließ sich im Geäst eines Baumes nieder. Kleiner Bär war fertig und breitet die Büffelhaut neben dem Feuer aus.

3 Häute

Da flog Blauhäher herab, strich über das Feuer und fachte die Flammen mit seinen Flügeln an. Die Flammen schlugen hoch auf, hüpften auf die Büffelhaut hinüber und versengten die Haare. “Blauhäher!”, rief Kleiner Bär. “Warum hast du die Flammen angefacht. Jetzt ist die Haut verdorben!” “Siehst du den hohlen Baumstumpf dort?”, fragte Blauhäher. “Leg die Haut darüber und komm am Abend wieder! Dann wirst du sehen, dass nichts verdorben ist.”

Kleiner Bär warf die Büffelhaut über den hohlen Baumstumpf und ging weg. Den ganzen Tag lag die Haut in der Sonne. Die Hitze trocknete sie aus und ließ sie kleiner und kleiner werden. Am Abend kam Kleiner Bär, wie Blauhäher es ihm gesagt hatte. Da war die Haut so fest um den hohlen Baumstumpf gespannt, dass Kleiner Bär sie nicht herunterbrachte. Er zog und zog - er verlor das Gleichgewicht und fiel hintüber in dornige Ranken und Disteln. Kleiner Bär war einer von jenen, die rasch zornig werden. Er packte seine Jagdkeule und schlug wütend auf die straff gespannte Büffelhaut.

Im selben Augenblick meinte er die Stimme des Donnervogels zu hören. Er schlug noch einmal zu. Wieder weckte er die Stimme des Donnervogels in dem hohlen Baumstumpf. “Ich kann die Stimme des Donnervogels wecken”, sagte Kleiner Bär voller Staunen. Er schlug von neuem auf die Büffelhaut, er schlug immer schneller und trommelte mit der Keule, einen Schlag nach dem anderen. Ihm war, als höre er das Stampfen einer großen Büffelherde. “Ich kann die Hufe der Büffel dröhnen lassen!”, rief er. Nun setzte er sich hin und trommelte immerfort. Er trommelte laut, er trommelte leise, es war ihm, als wecke er die Stimme des Wassers, die Stimme des Windes, das Rauschen des Grases.

Trommel am Baum

Die Menschen aus dem Dorf kamen herbeigelaufen. “Wir hören den Donnervogel!”, riefen sie. “Wir hören die Hufe der Büffel. Wir hören das Wasser und den Wind und das rauschende Gras. Wer hat dir Macht gegeben, diese Stimmen zu wecken?” “Blauhäher hat es mir gezeigt”, antwortet Kleiner Bär. Wieder trommelte er. Die Menschen aus dem Dorf standen um ihn. Die Trommel sprach für sie, ließ die Stimmen, die sie stumm in ihren Herzen getragen hatten, plötzlich lebendig werden. Sie fingen an zu tanzen, und als sie tanzten, begannen sie zu singen. Die Stimmen in ihren Herzen wurden zu Liedern.

Kleiner Bär blickte auf und sah Blauhäher oben im Geäst des Baumes. “Danke, Blauhäher!”, sagte Kleiner Bär. Bald dröhnten Trommeln in jedem Dorf des Indianerlandes. Vater Sonne schaute hinab auf die Erde und sah, wie seine Kinder, die Menschen, tanzten und sangen und die vielen Stimmen in ihren Herzen tönen und klingen und singen ließen und jetzt endlich auch fröhlich waren und lachten.

Shamanentreffen

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